Wie wird Deutschlands Industrie nachhaltig und zukunftsfähig? Woher kommt das Personal für die neu entstehenden Transformationsberufe? Wie kann zukünftig klimaangepasst, energieeffizient und sozial verträglich gebaut werden?
Das waren die zentralen Fragen der 22. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) am 1. Oktober 2023 in Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz hielt am Nachmittag eine Keynote. In seiner Rede bekannte er sich ausdrücklich zu der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele mit einer Beschleunigung der Energiewende sowie der Stärkung von Sicherheit im Wandel und Zusammenhalt in der Transformation. Er warb darum, gemeinsam Tempo für die Energiewende zu machen, um in der Gesellschaft das grundsätzliches Vertrauen in die Transformation nicht zu verlieren.
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung plädierte zu Beginn der Konferenz dafür, nicht die Augen vor den Zielkonflikten der Transformation verschließen. „Wir brauchen positive Visionen für eine gelingende Transformation.“ Das bedeute insbesondere auch, mehr Teilhabe und Gestaltung gerade auf regionaler und kommunaler Ebene stärken.
Aktivitäten im Bereich der Nachhaltigkeit noch stärker zu verzahnen und Synergien noch intensiver zu nutzen, das war eine der Botschaften von Sarah Ryglewski, MDB, SPD, Staatsministerin beim Bundeskanzler. Nachhaltigkeit müsse aus ihrer Sicht wesentlich stärker zur gesellschaftlichen Normalität werden und selbstverständlich von Beginn an in Strukturen und Strategien des Wirtschaftens eingeflochten werden. Bürgerinnen und Bürger, Beschäftigte und alle zivilgesellschaftlichen Akteure müssen die Chance haben, zu Akteuren der Transformation werden zu können.
Im Panel 1 Innovativ, nachhaltig und wettbewerbsfähig? Wie steht es um die Zukunft der deutschen Industrie angesichts hoher Energiepreise? forderte Saori Dubourg, RNE-Mitglied und ehemaliges Vorstandsmitglied der BASF SE, dass die ideellen Werte von Nachhaltigkeit stärker mit ökonomischen Werten der Wirtschaft verknüpft sein müssen. Dies besprach sie auf drei Ebenen: (1) den Energiemix europäisch denken, (2) neue Innovationsfelder für Materialien und Technologien schaffen und (3) Regulierungen einem Fitnesscheck zu unterziehen, wenn es darum geht, neue Materialien, Prozessen, Innovationen zügig in die Umsetzung zu bringen.
Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur bezog sich mit Blick auf Umsetzungsoptionen zu Nachhaltigkeit im Schwerpunkt auf die Situation der deutschen Energieinfrastruktur. Er formulierte drei Ziele für den Stromnetzausbau: (1) den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, (2) die Beschleunigung des Netzausbaus und (3) die Schaffung von Anreizen, damit Versorgung mit erneuerbarer Energie so kostengünstig wie möglich wird.
Die Industrie könne und dürfe nicht ohne das Handwerk gedacht werden, so Karina Schnur, Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrates der MAN Truck & Bus SE und Konzernbetriebsratsvorsitzende der TRATON SE. Insbesondere Klein- und Mittelständische Unternehmen müssten bei der Innovation für CO2-freie Mobilität und Infrastruktur besonders berücksichtigt werden. Das Handwerk brauche eine entsprechende Ladeinfrastruktur für den Transportbereich, um emissionsfrei beweglich sein zu können. Sie wies darauf hin, dass Innovation eng mit Bildung einher gehe und daher insbesondere junge Menschen in der Transformation mitgenommen werden müssen. Ihrer Ansicht nach kommen aus dem dualem Ausbildungssystem die besten Fachkräfte. Es gälte zusätzlich dazu die Fort- und Weiterbildung für eine Transformation innerhalb der Unternehmen zu stärken. Eine Herausforderung formulierte sie für das Spannungsfeld, dass Ausbildung aktuell weiterhin auf bewährte bestehende Inhalte und Technologien fuße, gleichzeitig aber (2) die dringende Notwendigkeit der Qualifizierung für neue Technologien und Prozesse bestünde.
Fiona Paulus, Vorsitzende der Evangelischen Jugend im Rheinland und Vertreterin des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) verwies auf die Gleichzeitigkeit von kurzfristigem Umsetzungsdruck und langfristigem Transformationsprozess im Wirtschaftssystem sowie auf die Diversität von Transformationsbedingungen in den verschiedenen Bereichen, Branchen und Wirtschaftsbereichen.
Der ehemalige schwedische Ministerpräsident und heutige Co-Vorsitzende des Beratungsgremiums von UN-Generalsekretär Guterres für wirksamen Multilateralismus, Stefan Löfven diskutierte im Panel A breakthrough for people and planet – Durchbruch für Mensch und Umwelt mit Heidemarie Wieczorek-Zeul, RNE-Mitglied und ehemalige Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Franka Bernreiter, UN-Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung zu sechs Pfaden internationaler Nachhaltigkeitspolitik. Dazu gehören (1) Vertrauen zurück gewinnen in den Multilateralismus, (2) Balance zwischen der (Re)Produktivität von Planet und Menschheit, (3) faire und gerechte globale Finanzierungsmechanismen, (4) offener Dialog, Austausch und Bildung im Rahmen von Digitalisierung und Daten Governance, (5) Wege zu Frieden und partnerschaftlichen transregionalen Beziehungen sowie (6) Risikovorsorge angesichts von Bedrohungen und Unsicherheit.
Anschließend folgte die Prämierung von ausgewiesenen Transformationsprojekten mit Concular auf Platz 1, MAXX SOLAR CAMPUS der MAXX SOLAR & ENERGIE GmbH & Co. KG auf Platz 2, Kreislaufwirtschaft im medizinischen Labor der HygCen Germany GmbH auf Platz 3 und Private PKW als Teil des ÖPNV der goFLUX Mobility auf Platz 4.
Das Forum 3 Transformation des Mittelstandes beschäftigte sich am Nachmittag mit der Frage, wie vereinbar regulatorische Anforderungen an den Transformationsprozess und unternehmerische Realitäten miteinander sein können. Myriam Rapior, RNE-Mitglied, Stellvertretende Bundesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) e.V. forderte in diesem Zusammenhang die Orientierung regulatorischer Maßnahmen an die European Sustainability Standards. Nachhaltigkeit müsse Normalität werden und bei den Unternehmen ankommen. Dafür müsse jedes Unternehmen förderlich begleitet werden. Die Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung im Rahmen der EU-CSRD könne ein Anlass sein, um im Unternehmen etwas zu ändern. Ein handhabbarer Einstieg wäre beispielsweise über den Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK). Grundsätzlich war Frau Rapior der Überzeugung, dass Umwelt- und Naturschutzziele allmählich Mainstream werden und nur mit der Wirtschaft erreicht werden könne. Nichtsdestotrotz blieben die Bereitschaft zur Transformation sowie die Konfrontation mit unangenehmen Fragen weiterhin harte Herausforderungen.
Dennis Pütz von der Pütz GmbH & Co. Folien KG berichtete, dass sich sein Unternehmen auf der Basis der Teilnahme am Öko-Profitprogramm bereits frühzeitig auf den Weg der Nachhaltigkeitsberichtserstattung gemacht hat. Die größte Herausforderung war dabei die Entscheidung für den Einstieg, im Falle der Firma Pütz über die Beratung einer Fachdozentin. Im Ergebnis, sagte Dennis Pütz, habe er mit seiner Firma schließlich Wege in den Transformationsprozess und die Vermittlung von Wissen sowie ein gestiegenes Bewusstsein für das Thema bei der Belegschaft gefunden. Sein Appell: Mittelstand ist maßgeblich auf Unterstützung angewiesen, zum Beispiel in Bezug auf Fördermittelberatung und Informationen dazu, wer Unternehmen begleitend zur Seite stehen kann. Aus seiner Sicht ist Befähigung für Transformation ein zentraler Punkt. KMU haben in der Regel keine Nachhaltigkeitsabteilungen. Pütz hat im eigenen Unternehmen ein kleines Nachhaltigkeitsteam aufgebaut und für die Einstiegsqualifizierung Expertise von unternehmensextern eingeholt. Ziel war es, möglichst schnell mit dem Thema auf eigenen Beinen zu stehen. In Gespräch mit weiteren Unternehmen hat sich als eine Herausforderungen vielfach die schwierige Aushandlung mit Zuliefererunternehmen herausgestellt. Hier sei es aus seiner Sicht schwierig, Kooperation anzustoßen. Insbesondere beim Recycling sei daher in Sachen Transformation noch viel zu tun.
Silke Stremlau, Mercator Senior Fellow und Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirates der Bundesregierung teilte die Position, dass Transformation nur mit und durch realwirtschaftliche Prozesse geschaffen werden könne. Konzepte für nachhaltige Geschäftsmodelle müssten entsprechend beworben werden. Insgesamt sei die Transformation ein hoch dynamischer Prozess, der zukünftig vor allem digital umgesetzt würde. Fördertöpfe von Bund und Ländern müssten flankierend noch mehr auf diese Transformationsbedingungen ausgerichtet sein. Auch Frau Stremlau war der Meinung, dass es für eine gelingende Transformation vor allem Befähigung und Unterstützung bedürfe, sodass regulatorische Vorgaben in Unternehmen weniger eine Haltung des Widerstands hervorrufen, sondern vielmehr ein Bewusstsein für entsprechende zukunftsfähige Geschäftsmodelle entstehen ließen.
Im Abschlusspanel Unsere Zukunft sichern diskutierten Michael Kellner, Saori Dubourg, Holger Schwannecke und Harald Schaum miteinander zum Thema Strategien gegen den Fachkräftemangel in Transformationsberufen. Michael Kellner, MdB, Bündnis 90/Die Grünen und Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz meinte, dass die Umsetzung der Transformation nicht nur mit einem Fachkräfte-, sondern auch mit einem Arbeitskräftemangel konfrontiert sei. Seiner Ansicht nach sollten Ausbildungsberufe beispielsweise durch eine verbesserte digitale Ausstattung attraktiver gemacht und überbetriebliche Ausbildungsstätten modernisiert werden sollten.
Saori Dubourg, RNE-Mitglied und ehemaliges Vorstandsmitglied der BASF SE identifizierte drei überlagernde Trends, welche Arbeit an sich verändern würden: (1) Babyboomer gingen in Rente: das bedeute ein enormer Kompetenzverlust. Wie könne daher Kompetenz entsprechend weitergegeben werden? (2) In Bezug auf Nachhaltigkeit gehe es um völlig neue Berufsbilder. Insbesondere das IT Umfeld verändere sich signifikant und exponentiell. (3) Die Verknüpfung klassischer Themen der Industrie mit neuen Kompetenzanforderungen (bspw. Digitalisierung) der Transformation werde eine enorme Herausforderung. Es gehe vor allem darum, nicht nur Wissen anzuhäufen und abrufbar zu machen, sondern darum zu lernen kluge Fragen zu stellen.
Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks nannte drei zentrale Gestaltungsbegriffe für wirtschaftliche Entwicklung: (1) Zukunftssicherung, (2) Fachkräfte und (3) Transformation. Dafür bedürfe es neben dem Umgang mit demografischen Veränderungen auch ein verändertes Berufsfeld-Mantra des „Nur-mit-Abi-hast-Du-eine-Zukunftschance“. Wichtig sei, diejenigen jungen Menschen aktiv einzubinden, die ohne Schulabschluss in den Beruf gingen. Dies sei insbesondere eine Frage der Wertschätzung. Er sagte, dass sich das Handwerk nicht dafür interessiere, wo eine Auszubildende oder ein Auszubildender herkomme, sondern wo sie oder er hin wolle. Qualifikatorische Zuwanderung sei darüber hinaus ein wichtiger Faktor bei der Fachkräfteentwicklung insgesamt. In Bezug auf das Thema Berufsorientierung plädierte er dafür, den Alltag von Unternehmen zum konkretem Schulstoff in der Unterrichtsgestaltung zu machen und Berufsorientierung in allen Schulformen verpflichtend umzusetzen.
In Handwerk und Baubranche bedürfe es anderer Lösungen als in der Industrie, so Harald Schaum, Stellvertretender Bundesvorsitzender der IG BAU. Sämtliche Bauberufe seien aus seiner Sicht Transformationsberufe. Doch durch die Klimaveränderungen erführen Mitarbeitende auf Baustellen immer mehr körperliche Beeinträchtigungen durch extreme Hitze, Starkregenereignisse und Stürme. Auch darauf müssten Lösungsansätze ausgerichtet sein, denn Transformation geschähe zeitgleich sowohl im Rahmen technischer Innovationen als auch durch Veränderungen der Arbeitsumgebungen.
In der aktuell äußerst angespannten geopolitischen Situation sei es an diesem Tag besonders bedeutsam, dass der Bundeskanzler trotz alledem zur Konferenz erschienen sei, sagte Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung in seiner Anmoderation für Olaf Scholz. Die Ampelkoalition habe Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt gestellt und unternähme konkrete Umsetzungsschritte. Reiner Hoffmann verwies auf eine entsprechende Zwischenbilanz der Bertelsmann-Stiftung. Zur Halbzeit der Legislatur seien zwei Drittel der diesbezüglichen Versprechungen des Koalitionsvertrags umgesetzt oder begonnen worden. Insbesondere in Bezug auf die finanzielle Realisierung der Transformation erinnerte Hoffmann den Appell des Bundeskanzlers auf der internationalen Tagung zu den UN-Nachhaltigkeitszielen, dass Welt- und Regionalbanken sich zu Transformationsbanken entwickeln müssten.
„Die Zeit wird knapp“, so Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Keynote. Der Ausbruch der aktuellen Gewalttaten weltweit seien gravierend und der menschengemachte Klimawandel bedrohe ein Drittel der Menschheit. Nun ginge es um Glaubwürdigkeit insbesondere bei den Industrieländern, die für den Großteil der Treibhausgasemissionen verantwortlich seien. „Unsere Aufgabe muss sein, Wachstum zu ermöglichen, ohne Umwelt zu zerstören. Dafür brauchen wir in großem Umfang privates Kapital“, so Olaf Scholz. Weltweit gäbe es seiner Wahrnehmung nach eine neue Entschlossenheit bei der Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele. Nun bedürfe es Kooperation und nachhaltige Ressourcennutzung für den internationalen Aufbau einer klimaneutralen Industrie.
Wichtige Ideen internationaler Solidarität müssen in diesem Sinne mit Leben gefüllt werden. Arbeits- und Fachkräfte, die nach Deutschland kämen, seien auch in Zukunft wichtig und willkommen. Dafür müsse für einen guten Ruf der Berufsbildung gesorgt und Facharbeit weiterhin attraktiv gemacht werden. Eine Offenheit für Talente wird die Grundlage einer erfolgreiche Wirtschaft sein. „Unternehmen wissen sehr genau, wen sie in der Firma haben“, so Scholz und seien bereit, Mitarbeitenden die Chance zu geben, sich auch in fortgeschrittener Berufsalltag qualifiziert weiterbilden zu können. Das schaffe Würde und Bereitschaft, sich gemeinsam für eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise zu engagieren.
Alle Infos zur Konferenz sowie die Videomitschnitte der Vorträge und Panels finden Sie hier: https://www.nachhaltigkeitsrat.de/termine/22-jahreskonferenz-des-rates-fuer-nachhaltige-entwicklung/